7 Alles hat ein Ende

Jede Ehe wird geschieden - in ca. 1/3 der Fälle durch ein Gericht, in 2/3 durch den Tod des Ehepartners. Über nichteheliche Lebensgemeinschaften sind in der amtlichen Statistik keine Informationen verfügbar, man weiß allerdings aus Befragungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (Höhn, 1990, 227), daß nichteheliche Lebensgemeinschaften erwartungsgemäß wesentlich instabiler als Ehen sind.

Warum enden Lebensgemeinschaften vorzeitig? Zur Beantwortung dieser Frage genügt es beinahe, zu unserer Schlußfolgerung, warum sie eingegangen werden, den Umkehrsatz zu bilden: Eine Lebensgemeinschaft endet, wenn die Nettoerträge der Partner durch die Auflösung jene fortgesetzten Zusammenlebens übersteigen. Dies kann vielfältige Ursachen haben, die sich aber im Prinzip alle in einer Kategorie zusammenfassen lassen: Es bestand ein Informationsdefizit. Die vorangegangene Eheschließung muß keineswegs irrational gewesen sein. Eventuell war es für die Partner einfach zu teuer, weitere Informationen über den anderen Partner oder die zukünftige Entwicklung des Heiratsmarktes zu beschaffen. Es kann z.B. sein, daß ein Partner - aus seiner Sicht vollkommen rational - dem anderen Partner vor der Eheschließung eine Affäre verschwiegen hat, in der Hoffnung, sie würde nicht ans Tageslicht kommen. Bei gegebenem Informationsstand mag dann die Heirat für beide vollkommen rational gewesen sein. Allerdings nur unter den gegebenen Umständen: der Betrogene wußte nicht, daß er betrogen worden war, und der Betrüger wußte nicht, daß der Betrug herauskommen würde.

Entgegen der landläufigen Meinung gehören zu einer Trennung immer zwei. Unabhängig von den geltenden gesetzlichen Bestimmungen reicht es nicht aus, wenn sich nur ein Partner durch die Trennung besser stellt. In aller Regel haben beide Partner durch die Trennung Vorteile. Moralisierende Schuldzuweisungen an einen der Partner, er habe die Trennung verursacht, entbehren daher auch meist einer Grundlage.

Um die Voraussetzungen zu verdeutlichen, die zur Auflösung einer festen Beziehung oder einer Ehe führen, betrachten wir ein zweites Zahlenbeispiel. Für dieses Beispiel wollen wir die heroische Annahme treffen, daß wir das allgemeine Glücksgefühl von Menschen messen können. Die Maßeinheit seien Zufriedenheitseinheiten. Positive Werte sollen eine Bejahung des Lebens an sich anzeigen. Je glücklicher der Mensch, desto höher der Wert.

Eingangs zeigt unser Beispiel eine glückliche und stabile Ehe.

Tab. 5: Zufriedenheit bei verschiedenen Umweltzuständen
Stabile Ehe
Fortbestand Auflösung
Mann 39 12
Faru 21 11
Der Jugendfreund
Mann 39 12
Faru 19 43
Stabilisierung d. Kompensation
Mann 14 12
Faru 44 43
Betrachten wir in Tab. 5 zunächst den Bereich "Stabile Ehe". Der Mann ist bei Fortbestand der Ehe glücklicher als bei ihrer Auflösung. Gleiches gilt für die Frau. (Zwischen den beiden Personen muß das Zufriedenheitsgefühl nicht irgendwie vergleichbar sein, auch wenn wir im folgenden der Einfachheit halber davon ausgehen. Alle Ergebnisse gelten auch bei ordinalen Skalen ohne interpersonelle Vergleichbarkeit des Nutzens.) Nun lassen wir das auftreten, was die Ökonomen als einen exogenen Schock bezeichnen. Die Ehefrau trifft beim Einkaufen zufällig ihre alte Jugendliebe Karl. Seinerzeit hatte sie sich nur nicht für ihn entschieden, weil er eine Schulfreundin geheiratet hatte. Und heute ist er nicht nur geschieden und erfolgreich im Geschäftsleben, sondern - wie sie meint, erkennen zu können - ihr auch noch besonders zugetan. Schlagartig ändern sich die Zufriedenheitswerte.

In der neuen Situation, die in der Tabelle mit "Der Jugendfreund" überschrieben ist, mißt die Frau einer Auflösung der Ehe einen höheren Wert bei als ihrem Fortbestand. Nun können wir zwar nicht voraussagen, was sich in der Ehe im einzelnen abspielt - das hängt im wesentlichen von den Gemütern der Ehepartner ab - aber wir wissen, daß diese Ehe Bestand haben wird.

Würde die Frau ihren Mann wegen ihrer Jugendliebe verlassen, so sänke seine Lebenszufriedenheit auf 12. Da sie bei Fortbestand der Beziehung mit 39 wesentlich höher ist, wird er also zu einigen Zugeständnissen bereit sein. Sein Bemühen wird sein, der Ehefrau den Fortbestand der Ehe so attraktiv zu gestalten, daß eine Scheidung für sie die ungünstigere Alternative wäre. Das ist dann der Fall, wenn ihr Zufriedenheitswert der Ehe auf einen Wert über 43 steigt. Nun wird sich der Mann nicht mehr anstrengen, als er unbedingt muß, und folglich einen Wert von 44 anpeilen.

Im unteren Teil der Tabelle "Stabilisierung durch Kompensation" ist die Situation dargestellt, in der der Mann durch eigenen Verzicht der Frau die Ehe wieder schmackhaft macht. Um eine konkrete Maßnahme in dieser Richtung zu nennen: Evtl. macht er mehr Überstunden, so daß sie sich die eine oder andere lang ersehnte Anschaffung leisten kann. Das mindert seinen eigenen, erhöht aber ihren Nutzen. Für beide Partner wird so der Fortbestand der Ehe wieder die bessere Alternative. Für ihn ist die Situation zwar nicht mehr so wie vor dem Jugendfreund, aber immer noch besser als die Scheidung. Es wird aber auch deutlich, daß der "exogene Schock" so stark sein kann, daß die Ehe zerbricht. Das ist dann der Fall, wenn sowohl der Mann als auch die Frau die Auflösung der Ehe ihrem Fortbestand vorziehen. Hätte der Jugendfreund bei der Frau einen "Auflösungswert" größer als 45 hervorgerufen, wäre die Ehe geschieden worden.

Das Zahlenbeispiel zeigt übrigens auch, wie die Wettbewerbssituation auf dem Heiratsmarkt die Preise beeinflußt. Die steigende Nachfrage nach der Ehefrau treibt ihren Preis in die Höhe, so daß der Ehemann nun mehr für sie "bezahlen" muß als in der Situation, in der er als alleiniger Nachfrager (Monopsonist) war. Grundsätzlich gilt, daß der Preis für (Ehe-)Frauen umso höher ist, je mehr Männer um sie konkurrieren. (Das gilt natürlich entsprechend für die Männer.) Eine Zulassung der Vielweiberei (Polygamie) würde die Konkurrenz um Frauen schlagartig ansteigen lassen. Sie kämen dadurch in eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Männern. Die logische Folge wäre - um in den Worten unseres Beispiels fortzufahren - eine Umverteilung von Lebenszufriedenheit zu Lasten der Männer und zugunsten der Frauen. (Man darf an dieser Stelle nicht den Fehler machen, die Vielweiberei mit anderen Veränderungen gemeinsam zu betrachten, sondern muß natürlich bei der Beurteilung davon ausgehen, daß alles andere sonst gleich bliebe - die Vielweiberei also für sich genommen betrachten.)

Wie diese, mag auch eine weitere Schlußfolgerung überraschen, die die ökonomische Theorie der Ehe nahelegt. Eine radikale Vereinfachung von Scheidungen, etwa derart, daß es genügt, wenn einer der Ehepartner die Scheidung vor einem Notar erklärt, kann dazu führen, daß der Bestand an Ehen in einer Gesellschaft zunimmt. Zwar werden umso mehr Ehen geschieden, je geringer die Scheidungskosten sind, es werden aber auch zugleich mehr Ehen geschlossen, da die prospektiven Kosten der Ehe sinken. Welcher Effekt überwiegt, ist nicht von vornherein klar. Eine Liberalisierung des Scheidungsrechts führt also nicht zwangsläufig zu weniger Ehen.

Nachdem wir nun wissen, daß eine Ehe dann geschieden wird, wenn für beide Partner die Auflösung der Ehe die bessere Alternative darstellt, können wir untersuchen, wovon die Stabilität einer Ehe abhängt. Für die allgemeinen Überlegungen, die wir dazu anstellen können, ist ein Rückgriff auf das Zahlenbeispiel nützlich. Offensichtlich ist die Ehe umso stabiler, je höher die Erträge aus der Ehe (gemessen in Lebenszufriedenheitseinheiten) im Vergleich zum Alleinleben oder einer alternativen Zweierbeziehung sind. Was die Höhe der Erträge bestimmt, hatten wir an anderer Stelle bereits untersucht. Die Ertrags- und Kostenlage kann sich allerdings im Laufe der Ehe verschieben, da die Partner in "Ehekapital" investieren können. Andererseits unterliegt dieses Kapital jedoch auch einem natürlichen Verschleiß, so daß eine Abschreibung zu berücksichtigen ist.

Eine typische Art und Weise, wie Eheleute in Ehekapital investieren, finden wir in der üblicherweise beobachtbaren Arbeitsteilung der Geschlechter, daß sich die Frau um Haushalt und Kinder kümmert, während sich der Mann in erster Linie auf Arbeitsmarktaktivitäten bzw. Einkommenserzielung durch Selbständigkeit konzentriert. Durch diese Art der Spezialisierung erwerben beide Ehepartner Kenntnisse und Fertigkeiten, die ihre Produktivität in ihrem jeweiligen Aktivitätsbereich erhöht. (Z. B. durch learning by doing im Haushalt oder Weiterbildungsmaßnahmen im Arbeitsmarkt. Man kann sich dies ganz plastisch vorstellen: Während es der jungen Ehefrau, die bis dahin berufstätig war, nur in jedem dritten Anlauf gelingt, einen schmackhaften Kuchen zu backen, realisiert sie diese Produktion mit zunehmender Ehedauer in kürzerer Zeit, mit weniger Ressourcen und immer besseren Ergebnissen.).Bei einer vollständigen Spezialisierung sind diese Produktivitätsgewinne sicherlich höher, als wenn sowohl der Mann als auch die Frau Teilzeit arbeiten und sich die Hausarbeit zu gleichen Teilen aufteilen würden. Einerseits ist dies bereits aufgrund der geschlechtsspezifischen Sozialisation ökonomisch nicht geboten, da dann die Vorteile der Spezialisierung nicht genutzt würden, andererseits dürfte dies das berufliche Fortkommen des Ehemannes stark beeinträchtigen.

Besonders problematisch bei diesen Investitionen ist der hohe Grad ihrer Spezifität. Damit ist gemeint, daß sich Investitionen in eine Ehe nicht in eine andere Ehe übertragen lassen. Bei der herrschenden Form der Arbeitsteilung geht dies vor allem zu Lasten der Frauen. Im häuslichen Produktionsbereich sind die Investitionen oft recht spezifisch. Dies gilt auch und vor allem für die Investition in Kinder, die in einer Ehe zu Erträgen führen, für eine weitere Ehe jedoch eher einen Hinderungsgrund darstellen dürften (m.a.W. der Marktpreis auf dem Heiratsmarkt sinkt mit einem oder weiteren Kindern, die mit eingebracht werden oder für die Unterhalt zu zahlen ist).

Neben der Investition in Ehekapital steht die natürliche Entwertung. Mit der Zeit verliert der Ehepartner den Reiz des Neuen, man wird mit zunehmendem Alter nicht unbedingt attraktiver. Die Langeweile in der Ehe nimmt zu. Eventuell kommt es auch durch außereheliche Affären zu diskontinuierlichen Abwertungen des Ehekapitals (Hartwig 1992, 32).

Es läßt sich nicht sagen, wann im Verlaufe einer Ehe welche Effekte überwiegen. Der Volksglaube, nachdem im verflixten siebten Jahr die Abschreibung besonders hoch sein müßte, entbehrt der statistischen Grundlage. Eine leichte Häufung von Scheidungen tritt im vierten und fünften Ehejahr ein, ansonsten sind Ehen aber über die gesamten Ehejahre etwa gleich scheidungsgefährdet.

Nun, wie jede Ehe endet, manche früher - manche später, endet hier auch dieser kleine Spaziergang durch die ökonomische Theorie zwischenmenschlicher Beziehungen. Wenn auch nur ein verschwindend kleiner Ausschnitt aus der umfangreichen Literatur zu diesem Themengebiet angesprochen werden konnte, ist vielleicht doch deutlich geworden, daß das Denken in Nutzen-Kosten-Relationen auch zu Fragen des Alltags zumindest diskussionswürdige Schlußfolgerungen liefern kann, wenn sie auch nicht gleich jeder unterschreiben wollte.